«Das Schweizer Modell der dualen Berufsbildung ist eine wichtige Referenz in der internationalen Zusammenarbeit» 

Schweiz
Berufliche Erstausbildung
17.09.2021
Berufsbildung und Arbeitsmarktintegration von jungen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind für Swisscontact seit jeher wichtige Anliegen und zentrale Themen bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Armut. Seit 2012 engagiert sich Swisscontact im FoBBIZ (Schweizer Forum für Berufsbildung und Internationale Zusammenarbeit) als Mitinitiantin und im Vorstand dafür, den Austausch und damit das gegenseitige Lernen zwischen den Akteuren der Berufsbildung in der Schweiz und der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit zu fördern und weiterzuentwickeln. 

Dank zahlreicher Projekte verfügt Swisscontact seit über 60 Jahren über umfangreiches Wissen und viel Erfahrung in diesem Thema. An der Erarbeitung des kürzlich publizierten Positionspapiers «Switzerland in the Global Apprenticeship Debate» (nur in Englisch verfügbar) waren zwei Vertreterinnen von Swisscontact massgeblich beteiligt.

 

Sandra Rothboeck (SR) (Head Skills Development) und Sibylle Schmutz (SSch) (Leiterin DC dVET Geberkomitee für duale Berufsbildung Sekretariat) geben Auskunft:

  • Warum hat sich das FoBBIZ entschieden, eine Publikation zum Thema «Apprenticeship» zu erstellen?

SSch: Die Schweiz hat in der internationalen Zusammenarbeit eine lange Tradition im Bereich der Berufsbildung. Sie versteht die Berufsbildung als zentralen Motor nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung in einem Land. Berufsbildung stärkt Firmen, um wettbewerbsfähig zu sein, und sie befähigt Frauen und Männer, sich aktiv am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen zu beteiligen. Das duale Ausbildungsmodell, welches Theorie und Erfahrung am Arbeitsplatz eng miteinander verknüpft, ist dabei eine wichtige Referenz. Seit einigen Jahren gibt es auch auf internationaler Ebene ein zunehmendes Interesse an Berufsbildung und speziell am Thema Berufslehre oder «Apprenticeships». Der Begriff «Apprenticeship» wird jedoch international sehr unterschiedlich verstanden, und auch die wirtschaftliche Relevanz und die gesellschaftliche Wahrnehmung unterscheiden sich stark, je nach Land und Kultur. Für die Schweiz sind diese Entwicklungen eine Chance und eine Herausforderung zugleich. Eine Chance, weil damit auch das Interesse an den Vorteilen und Möglichkeiten der dualen Berufsbildung und der Berufslehre (wieder) gestiegen ist. Eine Herausforderung, weil es im internationalen Diskurs darum geht, die wichtigsten Elemente der dualen Berufsbildung verständlich zu erklären und für die anderen Akteure nutzbar zu machen.

  • Wie ist die Publikation entstanden und um was geht es darin?

SSch: Bereits 2018 haben wir im FoBBIZ entschieden, dass wir uns mit diesem Thema befassen möchten. Ein Grund hierfür ist auch, dass die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zusammen mit ihren 193 Mitgliedstaaten dabei ist, ein normatives Instrument zu Berufslehre oder «Apprenticeships» zu entwickeln. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Klarheit bezüglich der verschiedenen Begrifflichkeiten zu schaffen und Optionen zu diskutieren, wie Schweizer Akteure sich in der internationalen Diskussion positionieren können – gemeinsam und einzeln. Es ist zu erwähnen, dass das Schweizerische Berufsbildungssystem als «Gold Standard» der Berufsbildung angesehen wird, weil es unter anderem für die sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit mitverantwortlich ist. Der Erfolg unseres Berufsbildungssystems stiess international auf grosses Interesse bei den verschiedensten Akteuren, die sich weiter mit der Thematik der dualen Berufslehre in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit auseinandersetzen wollten. Daher haben wir eine Reihe von Veranstaltungen organisiert und das Thema mit diversen Schweizer und internationalen Akteuren beleuchtet und diskutiert. Die Publikation konsolidiert nun diese Austausche und zeigt auf, welche Bedeutung die duale Berufsbildung in den Diskussionen rund um das Thema Berufslehre oder «Apprenticeship» und im Kontext der weltweiten Trends wie Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel hat. Zudem wird im Papier dargelegt, wie sich die verschiedenen Schweizer Akteure im internationalen Umfeld aktiver engagieren und positionieren können und wo wir weiteres Potenzial für einen gemeinsamen Auftritt sehen.

  • Wer sind die zentralen Akteure in der Debatte zum Thema Berufsausbildung und internationale Zusammenarbeit und weshalb engagieren sie sich bzw. welche Rolle spielen sie?

SR: In der Schweiz ist die Landschaft von Akteuren heterogen und über die letzten Jahre kontinuierlich gewachsen. Bei den staatlichen Akteuren engagieren sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Sie sehen die duale Berufsbildung als Inspiration für lokale Ansätze in den Partnerländern und unterstützen entsprechende Projekte. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) setzt sich in verschiedenen Gremien, insbesondere der EU und der OECD, für die Positionierung und die Anerkennung der dualen Berufsbildung ein. Spezifische Projekte und technische Unterstützung werden meistens von spezialisierten Nichtregierungsorganisationen wie Swisscontact oder von Beratungsfirmen ausgeführt. Zunehmend sind auch Hochschulen in der internationalen Zusammenarbeit aktiv und bringen sich als ExpertInnen und strategische Partner in Projekte ein – dies gilt auch für verschiedene Projekte von Swisscontact. Wir sind überzeugt, dass wir durch eine intensivere Zusammenarbeit die Partnerländer bei ihren Reformen mit attraktiven Lösungsansätzen besser unterstützen können.

Sibylle Schmutz, Leiterin DC dVET Sekretariat 

«Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Klarheit zu schaffen und Optionen aufzuzeigen, wie Schweizer Akteure sich in der internationalen Diskussion positionieren können – gemeinsam und einzeln.»

  • Welche Akteure sind bisher noch zu wenig involviert? Weshalb?

SR: Bis auf wenige Ausnahmen ist der Schweizer Privatsektor in der internationalen Zusammenarbeit und im Austausch darüber nur marginal involviert. Dies hat verschiedene Gründe, unter anderem sind viele Betriebe zwar international tätig, jedoch nicht grundsätzlich am Aufbau bzw. an der Förderung eines lokalen Berufsbildungssystems interessiert. In der Entwicklungszusammenarbeit wird jedoch zunehmend nach partnerschaftlichen Formen mit dem Privatsektor gesucht – mit dem Ziel, dass sowohl die Betriebe profitieren als auch der Auf- und der Ausbau von lokalen Berufsbildungsstrukturen unterstützt werden. Auch Swisscontact fördert vermehrt Public-Private  Partnerships mit Berufsverbänden und Unternehmen, zum Beispiel in Kenia in einem Projekt mit der Hilti Foundation zusammen mit Geberit und Schneider Electric.

Sandra Rothboeck, Head Skills Development 

«Wir sind überzeugt, dass wir durch eine intensivere Zusammenarbeit die Partnerländer bei ihren Reformen mit attraktiven Lösungsansätzen besser unterstützen können.»

  • Wie kann sich Swisscontact ins FoBBIZ einbringen und wie profitiert die Organisation davon?

SSch: Als Mitinitiantin und Vorstandsmitglied gestaltet Swisscontact die Aktivitäten und thematischen Schwerpunkte des FoBBIZ aktiv mit. Basierend auf der langjährigen Projekterfahrung in den unterschiedlichsten Projekten im Bereich der beruflichen Bildung bringt Swisscontact ein breites Fachwissen und einen guten Überblick über internationale Trends und Entwicklungen in der Berufsbildung und internationalen Zusammenarbeit ins FoBBIZ ein. Swisscontact setzt weltweit zahlreiche Projekte um, welche Elemente der dualen Berufsbildung erfolgreich aufnehmen und dem lokalen Kontext anpassen. Diese Erfahrungen können wir auch im Rahmen von FoBBIZ-Aktivitäten immer wieder einem breiten Publikum vorstellen und mit anderen Fachleuten kritisch diskutieren. Zehn Jahre nach seiner Gründung hat sich das FoBBIZ als wichtiger Fach- und Diskussionspartner etabliert und wird von Swisscontact und vielen anderen Akteuren, inklusive der Bundesstellen, als «unabhängige Stimme» geschätzt und als Ressource und Plattform für den Austausch und eine verstärkte Zusammenarbeit genutzt.

Berufliche Ausbildung
Swisscontact baut die Kapazitäten von Akteuren der Regierung, von Ausbildungsinstitutionen, Verbänden, aus der Privatwirtschaft und aus Unternehmen aus. Gemeinsam mit ihnen entwerfen und wir massgeschneiderte Programme für die Berufsbildung und setzen sie um. Dazu gehört auch die Ausbildung von Lernenden oder die duale Ausbildung, d.h. die Verbindung von Theorie und Praxis. So eröffnen sich Möglichkeiten für nachhaltige und relevante Ausbildungsangebote.